Vorlagebeschluss ungenügend – Wehrpflicht bleibt Abschussziel

Freitag, 31. Juli 2009

Das Verwaltungsgericht (VG) Köln hat beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einer Richtervorlage angerufen, ob die Wehrpflicht im Hinblick der Wehrgerechtigkeit noch verfassungsgemäß ist. Nur das BVerfG ist berechtigt, Gesetze zu verwerfen, daher müssen andere Gerichte bei Zweifeln der Verfassungsmäßigkeit dieses anrufen. Ob überhaupt eine Wehrpflicht möglich ist, kann leider nicht angegriffen werden, da diese selbst – mit ihrer Geschlechterdiskriminierung – im Grundgesetz steht. Es kann also nur noch an der einfachgesetzlichen Ausgestaltung angeknüpft werden.

Wie sich aus der Pressemitteilung und dem Urteil des BVerfG ergibt, ist die Richtervorlage des VG Köln wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen worden. Vorne Weg: Unzulässigkeit heiße nicht Unbegründetheit, meint, ob die Zweifel des VG Köln berechtigt sind, wird gar nicht erst geprüft. Dem Vorlagebeschluss des VG Köln fehlte es, so das BVerfG, an „Anforderungen an die Darlegung der Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Normen.“ Aus dem Antrag sind die Überzeugungen des VG Köln also nicht ausreichend dargelegt. Das VG Köln knüpft zwar an die ggw. Gesetzeslage und der neueren Situation an, stellt diese jedoch laut BVerfG nicht genügend dar, um hierüber entscheiden zu können.

Was bedeutet das jetzt, wurde die Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht bestätigt? Eben nicht! Wie gesagt wurde auf die Begründetheit der Vorlage gar nicht erst eingegangen. Allerdings hat das BVerfG nichtsdestoweniger Steine in den Weg gelegt, da es hat erkennen lassen, dass es für eine Wehrungerechtigkeit eine gravierende Abweichung, unter Berücksichtigung von Zivildienstleistenden u.ä., fordert, die es nun nachzuweisen gilt. Das VG Köln ist jetzt in der Situation wie vor dem Beschluss. Das VG Köln muss über die Klage des einen Wehrpflichtigen entscheiden, nicht das BVerfG. Da der Vorlagebeschluss „nur“ unzulässig war, könnte das VG Köln mit mehr Deteil einen neuen stellen. Es ist zu hoffen, dass es das auch erfolgreich tut.

Wie gesagt, die Wehrpflicht als solche kann leider nicht gerichtlich angegriffen werden, obwohl sie mE klar verfassungswidrig wäre, da sie selbst verfassungsmäßig festgeschrieben ist. Sie ist in der jetzigen Lage völlig überflüssig, sie ist ein Relikt aus dem schon lange beendeten kalten Krieg. Hier muss der Gesetzgeber ran. Hier ist die Forderung der FDP, die Wehrpflicht auszusetzen, zu begrüßen. Fraglich ist nur, ob die FDP sich an dieses Versprechen halten wird. Zwar hat sie nach der letzten Bundestagswahl groß angezeigt, sie wäre die Partei, die sich an Versprechen hält, aber ich habe extreme Zweifel, dass die FDP sich hier auch nur ansatzweise gegen ihren Lieblingskoalitionspartner CDU/CSU durchsetzen oder ggf. mit der Opposition zusammen beschließen (wollen) wird.


Party-Verbot am Karfreitag rechtmäßig?

Donnerstag, 9. April 2009

Vorgestern hat der Bayrische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) bestätigt, dass das Verbot der Heidenspaß-Party rechtmäßig ist, der Gesetzgeber dürfe, auch in geschlossenen Räumen wie Schankbetrieben,  jegliche Musikdarbietungen am Karfreitag verbieten.

Nun ist mir das Urteil ggw. nicht zugänglich, sodass ich nicht ins Deteil auf die dortigen Argumente eingehen kann. Hier kann man jedoch zwei Aussagen aus dem Urteil des BayVGH grob entnehmen, auf die ich ebenso grob eingehen möchte:

Einerseits meint das Gericht, die Glaubensfreiheit (und Versammlungsfreiheit) wäre nicht einschlägig, weil es sich nur um eine Unterhaltungsveranstaltung handeln sollte.

Dem kann mE jedoch nicht gefolgt werden. In Art. 4 GG, der Religionsfreiheit, ist auch die negative Religionsfreiheit eingeschlossen. Durch das Verbot von Musikdarbietungen wird jede Unterhaltung an diesen freien Tag allein aus religiösen Gründen untersagt. Es geht also gerade darum, jeden, der den freien Tag nutzen will, eine religiös gebundene Pflicht, die von der Religion diktiert wird, aufzuerlegen, die diese Unterhaltung untersagt. Das bay. Feiertagsgesetz bezieht sich ausdrücklich auf den Charakter des Tages, welcher ein religiöser ist, nicht auf allgemeine Ruheabsichten oder ähnliches. Es geht beim Verbot von Unterhaltung an Stillen Tagen (außer vielleicht dem Volkstrauertag) – gerade aber beim Verbot von Musikdarbietungen in Schankbetrieben am Karfreitag – also ausschließlich um die Einhaltung religiöser Regeln, auch durch Nicht- und Andersgläubige, die den freien Tag einfach genießen wollen, aber nicht dürfen.

Aber selbst wenn man mit dem BayVGH einhergeht und die Glaubensfreiheit nicht einschlägig erachtet, ist damit eine rechtmäßigkeit des Verbotes mE nicht naheliegend. Denn wenn kein konkretes Freiheitsrecht einschlägig ist, ist die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG zu beachten.

Natürlich kann die allgemeine Handlungsfreiheit – ungleich der (negativen) Religionsfreiheit, welche nur durch Gesetze zum Schutz von Verfassungsgütern einschränkbar sind – durch Gesetz eingeschränkt werden. Allerdings muss ein solches Gesetz zuletzt verhältnismäßig sein.

Die Sonn- und Feiertagsgesetze sind selbstredent solche einschränkenden Gesetze. Und an der Verhältnismäßigkeit der allgemeinen Ruhevorschriften an Sonn- und Feiertagen habe ich grdsl. keine ernsten Zweifel, sodass dahingehend der Rechtsprechung des BVerwG grdsl. zuzustimmen ist. Gilt die Verhältnismäßigkeit aber auch für die sog. Stillen Tage, insbesondere aber dem Verbot von Musikdarbietungen in Schankbetrieben am Karfreitag?

ME nein, denn zwischen den Regelungen der „einfachen“ Sonn- und Feiertage und den Regelungen der Stillen Tage im bay. Feiertagsgesetz besteht ein großer Unterschied. Denn an den normalen Feiertagen wird auf die Feiertagsruhe Bezug genommen, die (von Umfeld von Kirchen o.ä. abgesehen, wobei ich Art. 2  II Nr. 2 des bay. Feiertagsgesetzes auch als zu weitgehend erachte) unabhängig von einem religiösen Charakter ist. An den Stillen Tagen wird hingegend auf den Charakter des Feiertags abgestellt. Beide Arten der Feiertage verfolgen also gänzlich andere Ziele (einmal allgemeine Feiertagsruhe, die von der Gesellschaft bestimmt wird, einmal Charakterschutz, wobei der Charakter durch die Religion diktiert wird). Somit wird an Stillen Tagen (außer dem Volkstrauertag) der allgemeinen Bevölkerung und damit auch Nicht- und Andersgläubigen insbesondere am Karfreitag mit dem Verbot von Musikdarbietungen in Schankbetrieben diejenigen Verhaltensweisen auferlegt, die eine bestimmte Religion diktiert. Dieses „Mehr an Ruhe“ muss im vorliegenden Fall beachtet werden.

Folglich muss für die Sonderregel der Stillen Tage, Also Art. 3 des bay. Feiertagsgesetzes, unabhängig von den Regeln der „einfachen“ Feiertagen die Verhältnismäßigkeit zur Handlungsfreiheit betrachtet werden. Insbesondere fraglich ist dabei der Verbot von Musikdarbietungen in Schankbetrieben am Karfreitag:
Ein legitimer Zweck liegt vor. Es geht um den Schutz des ernsten religiösen Charakters des Tages.
Geeignet ist ein Verbot von allen Unterhaltungsdarbietungen zum Erreichen des Zweckes sehr wohl.
Fraglich ist allerdings, ob ein solches erforderlich ist. Eine Erforderlichkeit kann mE nicht erblickt werden. Erforderlich ist ein Eingriff, wenn kein milderes Mittel, welches die gleiche Wirksamkeit verspricht, zur Verfügung steht. Milder wäre es, wenn am Karfreitag Musikdarbietungen in der unmittelbaren Nähe von Kirchen o.ä., wo eben der ernste Charakter des Tages zelebriert wird, verboten werden, natürlich neben der allgemein für Feiertagen geltende Ruhe in der Öffentlichkeit. Dadurch wäre ebenso sichergestellt, dass diejenigen, die den Charakter des Tages zelebrieren wollen, dies ungehindert können.
Wer eine Erforderlich des Verbotes von Musikdarbietungen in geschlossenen Räumen, die nicht gleich neben einer Kirche stehen, doch sehen will (ich kann mir dafür jedoch keine Begründung ersinnen), muss jedoch an der Angemessenheit scheitern. Die Angemessenheit ist zu verneinen, wenn der bezweckte Vorteil zum eintretenden Nachteil des Grundrechtsträgers außer Verhältnis steht. Der eintretende Nachteil ist, dass die frei wählbare Erholung an einen freien Tag sehr eingeschränkt wird. Der bezweckte Vorteil ist, dass auch an denjenigen Orten, die keinen unmittelbaren Zusammenhang mit der Zelebrierung des Feiertages haben, Ruhe einhalten und ein Gläubiger, der sich zufällig in diesen Raum verläuft, nicht von Musik „belästigt“ wird. Der Vorteil ist folglich, insbesondere an nicht in der Nähe von Kirchen situierten Gaststätten, minimal (wer trauern will, kann zur Kirche gehen oder dies zu Hause tun, muss dafür nicht in eine Gaststätte), die Einschränkung für den Grundrechtsträger jedoch spührbar, wenn er über seine Freizeit nicht frei verfügen darf.

Wer, wie ich, bereits die negative Religionsfreiheit eröffnet sieht, für den gilt bei der Verhältnismäßigkeit der Einschränkung im Grunde das gleiche (da es um den Schutz vom religiösen Charakter geht, kann Art. 3 des bay. Feiertagsgesetzes die negative Religionsfreiheit beschränken, wenn es denn am Ende verhältnismäßig ist), jedoch ist hier spätestens die Unangemessenheit unbezweifelbar: Hier steht die Unterwerfung unter religiösen Regeln gegen eine Ruhe an Orten, die an der Zelebrierung des Feiertages nicht involviert sind, gegenüber, was die negative Religionsfreiheit mit Füßen tritt, würde man letzteres den Vorzug geben.

Interessant wäre jetzt die Ausführungen des BayVGH zu sehen, wie er die Rechtmäßigkeit des Verbotes bejahen kann. Ich kann jedenfalls keine Argumente dafür erblicken.

Sollte die Nichtzulassungsbeschwerde – so diese eingelegt wird – beim BVerwG scheitern, wäre ein Anruf des BVerfG ratsam. Allerdings befürchte ich nach dem Urteil zur Kirchenaustrittsgebühr, dass auch dieses nicht meine Ansicht teilen wird. Leider gestehen auch die Gerichte hierzulande den Kirchen immer noch massig Sonder- und Vorzugsrechte zu, wie sie sonst keine Organisation bekommen kann.


5%-Sperrklausel noch zeitgemäß?

Montag, 29. September 2008

Bei der Bundestagswahl sowie bei Landtagswahlen verhindert die sogenannte 5%-Hürde einen Einzug kleiner Parteien in die Landesparlamente. 2003 wurde in Bayern dadurch der Einzug der FDP und der FW, gestern den der Linken in den Bayerischen Landtag dadurch verhindert. Bayern ist für die Betrachtung der 5%-Hürde ein Paradebeispiel, konnte eine andere Partei durch den Wegfall dieser Stimmen 2003 mit nur 60,7% eine 2/3-Mehrheit (also mind. 66,6% der Mandate) erringen und hätte gestern mit nur 45% (die sie zum Glück auch nicht erreichte) eine absolute Mehrheit (also mind. 50% der Mandate) erringen können. Dies zeugt bereits davon, dass dieser 5%-Hürde nicht unbedacht getraut werden kann. Nimmt man eine Bundestagswahl mit ca. 60 Millionen Wahlberechtigten und 70% Wahlbeteiligung, bedeutet dies, dass eine Partei, die „nur“ 2 Millionen (nicht Tausend, sondern Millionen) Stimmen erhält, nicht in den Bundestag einzieht. Diese 2 Millionen Stimmen würden ungehört wegfallen. Daher bedarf die 5%-Sperrklausel einer erneuten Betrachtung:

Nach Art. 38 I GG bzw. Art. 14 I Bay. Verf. wird u.a. in „gleicher“ Wahl gewählt. Die Gleichheit bezieht sich dabei nicht nur auf die Zählwertgleichheit (also Stimme zählt auch nur als eine), sondern auch den Erfolgswertgleichheit (also jede Stimme wirkt gleich auf die Zusammensetzung im Parlament; gleiche Stimmzahl für eine Partei heißt gleiche Sitzzahl) (vgl. Degenhart, Staatsrecht I, 21. Aufl. 2005, Rn. 53 mwN).

Durch die 5%-Sperrklausel wird die Erfolgswertgleichheit duchrbrochen, denn die abgegebenen Stimmen haben für Parteien, die dieser Klausel unterfallen keinen Erfolgswert, die Partei ist im Parlament nicht vertreten. Diese Einschränkung sah das BVerfG bereits 1957 als gerechtfertigt an (vgl. BVerfG v. 23.1.1957 – 2 BvE 2/56, http://www.wahlrecht.de/wahlpruefung/195701231.htm, Rn. 26ff.). Dabei stellt es fest, dass eine vollständiges Differenzierungsverbot importun ist. „Soweit dies zur Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorganges bei der politischen Willensbildung des Volkes, im Interesse der Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung der mit der Parlamentswahl verfolgten staatspolitischen Ziele unbedingt erforderlich ist“ (BVerfG aaO, Rn. 29) soll ein ungleicher Erfolgswert der Stimmen zulässig sein. Diese Formulierung bietet noch keine zustimmungs- oder ablehnungswürdige Antwort auf die hier problematisierte Frage. Sie eröffnet nur die Möglichkeit einer Einschränkung, wenn die Notwendigkeit nicht abgesprochen werden kann, die zweifelsohne gegeben sein muss.

Die Frage muss sein, ob die 5%-Sperrklausel hierdurch gerechtfertigt werden kann. Das BVerfG bejaht dies. Ohne diese Sperrklausel würde die Funktionsfähigkeit durch Erschwerung der Mehrheitsbildung eingschränkt werden und gar bei der Bildung einer aktionsfähigen Regierung hindern (vgl. BVerfG aaO Rn. 28).
In seiner Entscheidung über die 5%-Sperrklausel auf kommunaler Ebene hat das BVerfG diese Einschränkung bzgl. Wahlen der Bundes- und der Länderparlamente weiterhin bejaht (vgl. BVerfG v. 13.2.2008 – 2 BvK 1/07, http://www.bverfg.de/entscheidungen/ks20080213_2bvk000107.html, Rn. 120)

Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Bzgl. der kommunalen Gremien führt das BVerfG nämlich richtigerweise aus

Es erscheint zwar durchaus wahrscheinlich, dass mit der Abschaffung der Fünf-Prozent-Sperrklausel mehr Parteien und Wählervereinigungen in die jeweiligen kommunalen Vertretungsorgane einziehen werden. Auch ist es möglich, dass Mehrheitsbildung und Beschlussfassung aus diesem Grund erschwert werden. Beschlüsse können umso leichter gefasst werden, je weniger Fraktionen aufeinander treffen und je weniger Standpunkte verarbeitet werden müssen. Andererseits reicht die bloße „Erleichterung“ oder „Vereinfachung“ der Beschlussfassung nicht aus, um den mit der Fünf-Prozent-Sperrklause verbundenen Eingriff in die Wahlgleichheit und die Chancengleichheit der politischen Parteien zu rechtfertigen (BVerfG aaO, Rn. 126)

Es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch bei den Bundes- und Landesparlamenten gelten soll. Das BVerfG führt zwar richtig aus, dass die kommunalen Gremien im Gegensatz zu den Parlamenten keine Gesetzgebungskompetenz innehaben und wegen ihrem eingeschränkten Wirkungskreis nicht mit diesen vergleichbar sind (BVerfG aaO Rn. 122), nichtsdestoweniger kann auch bei einem Gesetzesbeschluss die „Erleichterung“ oder die „Vereinfachung“ nicht Grund genug sein, derart viele Wähler ihrer Stimme zu berauben. Im Gegenteil ist es gerade bei einem umfassend geltendem Gesetz eher zu wünschen, dass hierüber ein von vielen Seiten betrachtender Diskurs stattfindet. Das Gericht zitiert weise: „Denn Demokratie setzt das Aufeinandertreffen verschiedener Positionen und das Finden von Kompromissen voraus“ (BVerfG aaO, Rn. 126), wendet dies jedoch bedauerlicherweise nicht umfänglich an. Dies muss aber gerade auch für Gesetze gelten. Daher kann das Argument, viele kleine Parteien würden die Funktionsfähigkeit des Parlamentes verhindern, entgegen der Ansicht des BVerfG, nicht gehalten werden. Die Funktion des Parlamentes ist es vielmehr, das Volk umfassend zu vertreten und über Gesetze umfassend Diskussion zu führen. Dies kann nicht erreicht werden, wenn Teile des Volkes im Parlament nicht gehört, da nicht vertreten, wird.

Auch das Argument, es müsse eine regierungsfähige Mehrheit gefunden werden, vermag nicht zu überzeugen. Wird hier die Wahl der Regierung durch das Parlament und nicht durch das Volk ohnehin kritisiert, muss dies jedoch an dieser Stelle unbeachtet bleiben. Aber auch dann, wenn das Parlament die Regierung wählt, kann hieraus kein Entzug von Stimmen gerechtfertigt werden.
Einerseits kann die 5%-Sperrklausel eine vom Volk nicht gewählte Regierung konstruieren. So bedarf es keiner Mehrheit im Volk, um eine Mehrheit im Parlament zu erreichen. Dies kann nicht der Sinn von Demokratie sein. Aber auch wenn die Wahl einer Regierung auf diesem Wege noch geduldet werden kann, geht dadurch jedoch auch eine ungewollte Mehrheit in dem gesetzgebenden Parlament einher. Es kann nicht angehen, dass nur, damit eine Regierung komfortabel an die Macht kommt, auch das gesetzgebende Parlament eine Mehrheitsverschiebung erleiden muss. Wenn der Verfassungsgeber die Wahl der Regierung durch das Parlament vorsieht, muss er auch in Kauf nehmen, dass der Wahlprozess der Regierung Koalitionen notwendig macht.
Davon unabhängig kann nicht erblickt werden, wie in einem Parlament, welches zu 10% aus „Splitterparteien“ besteht, die „größeren“ Parteien der restlichen 90% keine Regierungsmehrheit finden können. Wie das BVerfG richtig feststellt, unterliegen die Verhältnissen im Staat nicht einer Unveränderlichkeit, die eine immerwährende Betrachtung gebietet (Vgl. BVerfG aaO Rn. 111). Und die gegenwärtigen Verhältnisse sehen nicht danach aus, dass 50% des Parlamentes sodann aus „Splitterparteien“ bestehen würde. Außerdem sind bereits heute in den Parlamenten einzelgänger, also Fraktionslose, zB durch Parteiaustritt, vorhanden, die keineswegs zu einem Hindernis führen. Insofern ist auch das Argument, die 5%-Sperrklausel würde eine regierungsfähige Mehrheit sichern, ad absurdum geführt.

Im Ergebnis muss daher festgehalten werden: Die 5%-Sperrklausel kann nicht (mehr) gerechtfertigt werden und gehört aufgehoben. Sie sollte durch eine Ein-Sitz-Sperrklausel (man kann einen Sitz schlechterdings aufteilen) ersetzt werden. Sobalt eine Partei eine Stimmzahl erlangt hat, die ihr einen Sitz im Parlament zuſichert, muss des Volkes Willen auch beachtet werden und der Sitz der Partei zuerkannt werden. 4% entsprechen bei der Bundestagswahl übrigens fast 24 (von 598) Sitze, bei der bay. Landtagswahl 7 (von 180) Sitze. Es ist nicht ersichtlich, warum die Stimmen der Wähler, die eine Partei derart viele Sitze zugeteilt haben, ungehört bleiben. Die 5%-Sperrklausel bedeutet folglich nur, dass die Stimmen vieler Bürger bei der Wahl weggeworfen, unter den Teppich gekehrt, ignoriert werden.


BVerfG behindert Kirchenaustritt

Samstag, 9. August 2008

Wie ich in Kirchenaustrittsgebühr – Zweck: Statistikfälschung negativ angemerkt habe, wird für einen Kirchenaustritt in vielen Bundesländern eine Gebühr erhoben. Nun hat die 3. Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgericht beschlossen: Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie habe keinen Aussucht auf Erfolg. Dadurch bleibt es, durch das BVerfG gebilligt, bei dieser mE klar verfassungswidrigen Regelung.

Die Kammer führt folgende Gründe als Rechtfertigung für die Gebühren an:

Eine formlose oder in der Form vereinfachte, gegenüber der Kirche oder gegenüber einer staatlichen Stelle abzugebende Austrittserklärung nach Art der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses wäre nicht in gleicher Weise geeignet wie das hier vorgesehene Verwaltungsverfahren, um die staatlichen Wirkungen der Kirchenmitgliedschaft verlässlich zu beenden. Die Abgabe der persönlichen Erklärung zur Niederschrift bei dem zuständigen Amtsgericht oder schriftlich in öffentlich beglaubigter Form stellt in erhöhtem Maße sicher, dass Unklarheiten über die Authentizität, die Ernsthaftigkeit und auch den genauen Zeitpunkt der Austrittserklärung vermieden werden.

An dieser Stelle vergisst das Gericht bereits, dass bei Kirchenbeitritt auch keine derartige Formalität nötig ist. Warum soll über das Ende der Vereinsmitgliedschaft ein derartiges Verfahren nötig sein, wenn überhaut der Beginn bereits uneindeutig ist? Und davon unabhängig ist diese Begründung auch nicht weit gedacht. Egal welches Verfahren, ob nur eine einfache Kündigung durch Brief oder dieses Sonderverfahren, letztendlich obliegt es trotzdem dem Ausgetretenen, jederzeit durch Vorlage der Austrittsbescheinigung zu beweisen, dass er ausgetreten ist. Zieht zB ein Bürger nach 7 Jahren um, kann plötzlich die neue Kirche kommen und die Steuern nachverlagen, wenn der Bescheid weg ist. Warum also dieses besondere verfahren? Kündigung zur Kirche schicken, die bestätigt die Kündigung, Wirkung ist exakt die gleiche. Auch bei der Abmeldung bei der Gemeinde ist es nicht derart schwer. Und hier ist der Vergleich sogar eindeutiger. Die Nicht-Mehr-Zugehörigkeit zu einer Gemeinde kann steuerrechtliche bedeutung haben, so zB bei Steuern für einen Zweitwohnsitz. Aber für eine Abmeldung braucht es nicht mal einzusätzliches Erscheinen bei einer Behörde. Man kann das per Brief machen oder sogar ganz einfach mündlich der Behörde am neuen Wohnsitz gegenüber. Hier gibt es nicht einmal eine Bescheinigung über die Abmeldung. Man meldet sich bei der neuen Gemeinde an, und die meldet einem gleich bei der alten ab, ohne zusätzliche Formalitäten. Und vor allem: ohne Kosten. Warum kann man sich bei einer Gemeinde so einfach und kostenfrei abmelden, aber von der Kirche nicht. Hier hat das Gericht ganz klar den Kirchen wieder eine Sonderstellung zugesprochen.

Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wäre erst überschritten, wenn das Verfahren besonders kostenaufwändig wäre und der Austrittswillige solche hohen Kosten über die Auferlegung einer Gebühr tragen müsste. Dies ist hier indessen nicht der Fall.

30€ in NRW! Ist nicht viel? Das Gericht stellt die Gebühren völlig außer Verhältnis. Für eine Person, die von Alg II lebt, ist das bereits eine unaufbringbare Gebühr. Und wer behaupten will, ein Alg II-Empfänger braucht ja keine Kirchensteuern zahlen, der irgnoriert schlicht, dass es hier um die Religionsfreiheit der Person geht, die einfach aus dem Verein austreten will. Und auch so sind bei den heute ständig steigenden Kosten 30€ nichts, was viele eben mal „aus dem Ärmel schütteln“ können.

Nach der von der Landesregierung in ihrem Gesetzentwurf gegebenen Begründung, die sich auf eine Prüfung des Landesrechnungshofs bezieht und an deren Richtigkeit insoweit zu zweifeln kein Anlass besteht, entsteht für jeden Fall der Bearbeitung eines Kirchenaustritts ein Aufwand von „mindestens“ 15 Minuten Personaleinsatz zuzüglich Material und sonstigen Sachkosten (vgl. LTDrucks 14/1518, S. 1 und S. 5).

Die Kosten mögen richtig berechnet sein. Das Gericht übersieht hier jedoch eindeutig: Die meisten Personen werden ohne ihr Einverständnis kurz nach der Geburt in die Kirche reingezwungen. Also hat sie auch die Kosten zu tragen, die entstehen, wenn diese Person die Kirche verlassen möchte. Aber dagegen wendet das Gericht ein:

Schließlich ist hier nicht zu entscheiden, ob das vorliegend zu beurteilende Verfahren gerade im Blick auf seine Gebührenpflichtigkeit in einem besonders gelagerten Einzelfall auch dann als verfassungsrechtlich noch angemessen und zumutbar zu erachten wäre, wenn der Betroffene gänzlich ohne eigenen oder ihm zurechenbaren Willensakt Mitglied einer Kirche oder einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung im staatlichen Bereich geworden wäre. Die staatliche Anerkennung der Begründung der Mitgliedschaft in einer Kirche oder einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts ohne einen freiwilligen, zurechenbaren Akt dürfte jedenfalls mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar sein

Nun, ich sehe in der Taufe eines noch nicht mal einjährigen Kindes keinen freiwilligen Akt. Aber genau das macht das Gericht. Die Taufe wäre zumindest durch einen Sorgeberechtigten autorisiert. Es soll sichergestellt werden, dass ein junger Mensch ohne Schulden ins Erwachsenenleben starten darf. Aber in Religionsfragen bürgt das BVerfG dem Betroffenen die Schulden der Eltern auf. Es muss doch vielmehr gefragt werden, ob es mit der Religionsfreiheit vereinbar ist, wenn Eltern Erklärungen über die Religionszugehörigkeit abgeben dürfen, die vom Staat anerkannt werden, die dem Kind für den Rest seines Lebens anhaften, wenn es sich nicht dem kostenpflichtigen Kirchenaustrittsverfahren unterzieht. Nein, der Kirchenbeitritt durch die Taufe als Kind ist mE klar unfreiwillig. Es gibt Entscheidungen, solche, die einem Kind sein Leben lang anhaften (sofern es sich keinem besonderen Prozess unterzieht), die Eltern einfach nicht mit Wirkung für das Erwachsenenleben treffen dürfen, weil sonst die Freiheit des Kindes als Erwachsener selbst zu entscheiden, eingeschränkt wird. Es gibt höchstpersönliche Entscheidungen, die darf kein Vertreter treffen dürfen, worunter mE auch die Kirchenzugehörigkeit fällt.

Bei dem erhobenen Betrag von 30,– € handelt es sich – den Merkmalen des anerkannten Gebührenbegriffes entsprechend (vgl. BVerfGE 108, 1 <13>) – um eine öffentlichrechtliche Geldleistung, die aus Anlass einer individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung, der Bearbeitung des Kirchenaustritts, dem Austrittswilligen als Gebührenschuldner auferlegt wird. Sie ist dazu bestimmt, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten zu decken. Die Kostendeckung ist nicht nur ein allgemein zulässiger (vgl.BVerfGE 108, 1 <18>), sondern auch in Ansehung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) legitimer Gebührenzweck.

Richtig, die Kosten sind legitim, ja sogar notwendig. Der Staat macht ja was. Aber es wird der Falsche zur Zahlung aufgefordert. Es ist vielmehr die Kirche, die diese Kosten zu tragen haben. Der Austrittswillige macht hier nichts anderes als sein Grundrecht auf negative Religionsfreiheit geltend. Also hat auch derjenige die Kosten dafür zu tragen, der ihm bei der Ausübung dieses Grundrechtes Anforderungen stellt. Das ist erst einmal der Staat. Dieser macht es aber für die Kirche. Es wäre auch bedenklich, würde man die Kosten der auch atheistischen oder andersgläubigen Allgemeinheit, also dem allg. Steuerzahler, aufzwingen. Wenn der Staat etwas für die Kirche macht, dann muss die Kirche dafür bezahlen, nicht die Allgemeinheit.

Sie dient nach der gesetzgeberischen Intention erkennbar der Kostendeckung, jedoch keinen darüber hinausgehenden Zwecken wie etwa einer Verhaltenslenkung. Letzteres wäre mit Art. 4 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Das Gericht verkennt mE aber, dass die wahre Intention des Gesetzgebers offensichtlich doch letzteres ist. Die Kirchenaustrittsgebühr dient nur dazu, Austrittswillige am Austritt zu hindern. Wenn der Gesetzgeber andere Intentionen hätte, würde er die Kosten der Kirche auferlegen.

Aber dagegen kontert das Gericht ja auch:

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Gesetz den Austrittswilligen und nicht die Kirche oder die sonstige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit der Gebühr belastet. Der Austrittswillige veranlasst das Verfahren und zieht überdies in der Regel aus seiner Sicht Nutzen daraus.

Der Austrittswillige zieht aus diesem besonderen Verfahren keinen Nutzen. Aus seiner Sicht würde ein Brief an die Kirche reichen, wenn er damit austreten könnte. Vielmehr zieht die Kirche durch die strengen Austrittsformalitäten den Nutzen. Hier wird für die Zwecke der Kirche, sei es auch nur, was mir, wie oben dargestellt, extrem zweifelhaft erscheint, die eindeutigkeit der Austrittserklärung, ein besonderes Verfahren vorgesehen. Also hat auch die Kirche für dieses besondere Verfahren zu bezahlen und nicht der, dem dieses besondere Verfahren aufgezwungen wird.

Dieser Beschluss zeugt leider davon, dass auch das BVerfG die Religionsfreiheit mehr in Richtung der großen Religionen als zu denjenigen, die sich gegen deren Sonderstellung wenden, auslegt. Es ist eine verkehrte Welt, wenn diejenigen, die nur unbegründete Behauptungen aufstellen, mehr Rechte zugesprechen bekommen, als denjenigen, die diese unbewiesenen Behauptungen zurückweisen. Und durch diesen Beschluss haben diejenigen mit den Behauptungen aufstellen wieder ein Sonderrecht bekommen: Es reicht ein formloser Akt, damit man an denen gebunden ist, die unbewiesene Behauptungen aufstellen, aber es braucht einen formgebundenen, kostenpflichtigen Akt, um als jemand anerkannt zu werden, der die unbewiesenen Behauptungen zurückweist, nur weil einmal ein Vertreter in dieser höchstpersönlichen Frage etwas anderes vorschireb.

Also sprach Maik

NACHTRAG:

Auf Grund des Beschlusses des BVerfG wurde nunmehr Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eingelegt.
Der Text der Beschwerde ist hier nachlesbar: http://ibka.org/node/758
Ich hoffe, dass der EGMR diese nur in Deutschland übliche Praxis, Bürger an der Ausübung ihrer negativen Religionsfreiheit zu hindern, endlich verwirft.


Vorratsdatenspeicherung eingeschränkt – weiter warten

Donnerstag, 20. März 2008

Wie gestern veröffentlicht wurde, hat das BVerfG am 11. März bezüglich einer Einstweiligen Antordnung beschlossen, die Vorratsdatenspeicherung einzuschränken. Diese Einschränkung bezieht sich jedoch nur auf den Zugriff der Daten.  Die Speicherung darf weiterhin erfolgen, allerdings dürfen die Strafverfolgungsbehörden nur bei schwerwiegenden Straftaten und ausreichend Verdacht auf die Daten zugreifen.

Dieser Beschluss ist kein Erfolg. Allein die Speicherung der Daten stellt eine hohe Gefahr für die Freiheiten dar. Es muss jedoch ausdrücklich beachtet werden, dass dies nicht das Hauptsacheverfahren ist. Bei einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht die Entscheidung der Hauptsache nicht einfach vorwegnehmen.

Fraglich ist allerdings, 0b die Gefährdung, die durch die Speicherung ausgeht, nicht höher liegt als ein eventueller Schaden, wenn die Daten gelöscht werden müssen und in der Hauptsache – wider erwarten – doch die Verfassungsmäßigkeit festgestellt wird. Daher wäre eine einstweilige Antordnung, die auch die Speicherungspflicht bis zum Hauptsacheurteil unanwendbar stellt, begrüßenswerter gewesen.

Auch wenn der Beschluss mE nicht ausreichend weit geht, bin ich jedoch froh, dass der Staat die Daten grdsl. nicht abrufen kann. Ich sehe allerdings auch ein, dass das BVerfG in einem Eilantrag auf einstweilige Anordnung nicht bereits eine vollständige Entscheidung treffen kann. Daher bin ich nach wie vor guter Hoffnung, dass das BVerfG die Vorratsdatenspeicherung in der Hauptsache für verfassungswidrig erklärt.

Zur Presseerklärung des BVerfG
Zum Beschluss des BVerfG 

Ihr, Euer
M a i k