BVerfG behindert Kirchenaustritt

Wie ich in Kirchenaustrittsgebühr – Zweck: Statistikfälschung negativ angemerkt habe, wird für einen Kirchenaustritt in vielen Bundesländern eine Gebühr erhoben. Nun hat die 3. Kammer des ersten Senats des Bundesverfassungsgericht beschlossen: Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie habe keinen Aussucht auf Erfolg. Dadurch bleibt es, durch das BVerfG gebilligt, bei dieser mE klar verfassungswidrigen Regelung.

Die Kammer führt folgende Gründe als Rechtfertigung für die Gebühren an:

Eine formlose oder in der Form vereinfachte, gegenüber der Kirche oder gegenüber einer staatlichen Stelle abzugebende Austrittserklärung nach Art der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses wäre nicht in gleicher Weise geeignet wie das hier vorgesehene Verwaltungsverfahren, um die staatlichen Wirkungen der Kirchenmitgliedschaft verlässlich zu beenden. Die Abgabe der persönlichen Erklärung zur Niederschrift bei dem zuständigen Amtsgericht oder schriftlich in öffentlich beglaubigter Form stellt in erhöhtem Maße sicher, dass Unklarheiten über die Authentizität, die Ernsthaftigkeit und auch den genauen Zeitpunkt der Austrittserklärung vermieden werden.

An dieser Stelle vergisst das Gericht bereits, dass bei Kirchenbeitritt auch keine derartige Formalität nötig ist. Warum soll über das Ende der Vereinsmitgliedschaft ein derartiges Verfahren nötig sein, wenn überhaut der Beginn bereits uneindeutig ist? Und davon unabhängig ist diese Begründung auch nicht weit gedacht. Egal welches Verfahren, ob nur eine einfache Kündigung durch Brief oder dieses Sonderverfahren, letztendlich obliegt es trotzdem dem Ausgetretenen, jederzeit durch Vorlage der Austrittsbescheinigung zu beweisen, dass er ausgetreten ist. Zieht zB ein Bürger nach 7 Jahren um, kann plötzlich die neue Kirche kommen und die Steuern nachverlagen, wenn der Bescheid weg ist. Warum also dieses besondere verfahren? Kündigung zur Kirche schicken, die bestätigt die Kündigung, Wirkung ist exakt die gleiche. Auch bei der Abmeldung bei der Gemeinde ist es nicht derart schwer. Und hier ist der Vergleich sogar eindeutiger. Die Nicht-Mehr-Zugehörigkeit zu einer Gemeinde kann steuerrechtliche bedeutung haben, so zB bei Steuern für einen Zweitwohnsitz. Aber für eine Abmeldung braucht es nicht mal einzusätzliches Erscheinen bei einer Behörde. Man kann das per Brief machen oder sogar ganz einfach mündlich der Behörde am neuen Wohnsitz gegenüber. Hier gibt es nicht einmal eine Bescheinigung über die Abmeldung. Man meldet sich bei der neuen Gemeinde an, und die meldet einem gleich bei der alten ab, ohne zusätzliche Formalitäten. Und vor allem: ohne Kosten. Warum kann man sich bei einer Gemeinde so einfach und kostenfrei abmelden, aber von der Kirche nicht. Hier hat das Gericht ganz klar den Kirchen wieder eine Sonderstellung zugesprochen.

Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen wäre erst überschritten, wenn das Verfahren besonders kostenaufwändig wäre und der Austrittswillige solche hohen Kosten über die Auferlegung einer Gebühr tragen müsste. Dies ist hier indessen nicht der Fall.

30€ in NRW! Ist nicht viel? Das Gericht stellt die Gebühren völlig außer Verhältnis. Für eine Person, die von Alg II lebt, ist das bereits eine unaufbringbare Gebühr. Und wer behaupten will, ein Alg II-Empfänger braucht ja keine Kirchensteuern zahlen, der irgnoriert schlicht, dass es hier um die Religionsfreiheit der Person geht, die einfach aus dem Verein austreten will. Und auch so sind bei den heute ständig steigenden Kosten 30€ nichts, was viele eben mal „aus dem Ärmel schütteln“ können.

Nach der von der Landesregierung in ihrem Gesetzentwurf gegebenen Begründung, die sich auf eine Prüfung des Landesrechnungshofs bezieht und an deren Richtigkeit insoweit zu zweifeln kein Anlass besteht, entsteht für jeden Fall der Bearbeitung eines Kirchenaustritts ein Aufwand von „mindestens“ 15 Minuten Personaleinsatz zuzüglich Material und sonstigen Sachkosten (vgl. LTDrucks 14/1518, S. 1 und S. 5).

Die Kosten mögen richtig berechnet sein. Das Gericht übersieht hier jedoch eindeutig: Die meisten Personen werden ohne ihr Einverständnis kurz nach der Geburt in die Kirche reingezwungen. Also hat sie auch die Kosten zu tragen, die entstehen, wenn diese Person die Kirche verlassen möchte. Aber dagegen wendet das Gericht ein:

Schließlich ist hier nicht zu entscheiden, ob das vorliegend zu beurteilende Verfahren gerade im Blick auf seine Gebührenpflichtigkeit in einem besonders gelagerten Einzelfall auch dann als verfassungsrechtlich noch angemessen und zumutbar zu erachten wäre, wenn der Betroffene gänzlich ohne eigenen oder ihm zurechenbaren Willensakt Mitglied einer Kirche oder einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit Wirkung im staatlichen Bereich geworden wäre. Die staatliche Anerkennung der Begründung der Mitgliedschaft in einer Kirche oder einer sonstigen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts ohne einen freiwilligen, zurechenbaren Akt dürfte jedenfalls mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar sein

Nun, ich sehe in der Taufe eines noch nicht mal einjährigen Kindes keinen freiwilligen Akt. Aber genau das macht das Gericht. Die Taufe wäre zumindest durch einen Sorgeberechtigten autorisiert. Es soll sichergestellt werden, dass ein junger Mensch ohne Schulden ins Erwachsenenleben starten darf. Aber in Religionsfragen bürgt das BVerfG dem Betroffenen die Schulden der Eltern auf. Es muss doch vielmehr gefragt werden, ob es mit der Religionsfreiheit vereinbar ist, wenn Eltern Erklärungen über die Religionszugehörigkeit abgeben dürfen, die vom Staat anerkannt werden, die dem Kind für den Rest seines Lebens anhaften, wenn es sich nicht dem kostenpflichtigen Kirchenaustrittsverfahren unterzieht. Nein, der Kirchenbeitritt durch die Taufe als Kind ist mE klar unfreiwillig. Es gibt Entscheidungen, solche, die einem Kind sein Leben lang anhaften (sofern es sich keinem besonderen Prozess unterzieht), die Eltern einfach nicht mit Wirkung für das Erwachsenenleben treffen dürfen, weil sonst die Freiheit des Kindes als Erwachsener selbst zu entscheiden, eingeschränkt wird. Es gibt höchstpersönliche Entscheidungen, die darf kein Vertreter treffen dürfen, worunter mE auch die Kirchenzugehörigkeit fällt.

Bei dem erhobenen Betrag von 30,– € handelt es sich – den Merkmalen des anerkannten Gebührenbegriffes entsprechend (vgl. BVerfGE 108, 1 <13>) – um eine öffentlichrechtliche Geldleistung, die aus Anlass einer individuell zurechenbaren öffentlichen Leistung, der Bearbeitung des Kirchenaustritts, dem Austrittswilligen als Gebührenschuldner auferlegt wird. Sie ist dazu bestimmt, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten zu decken. Die Kostendeckung ist nicht nur ein allgemein zulässiger (vgl.BVerfGE 108, 1 <18>), sondern auch in Ansehung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) legitimer Gebührenzweck.

Richtig, die Kosten sind legitim, ja sogar notwendig. Der Staat macht ja was. Aber es wird der Falsche zur Zahlung aufgefordert. Es ist vielmehr die Kirche, die diese Kosten zu tragen haben. Der Austrittswillige macht hier nichts anderes als sein Grundrecht auf negative Religionsfreiheit geltend. Also hat auch derjenige die Kosten dafür zu tragen, der ihm bei der Ausübung dieses Grundrechtes Anforderungen stellt. Das ist erst einmal der Staat. Dieser macht es aber für die Kirche. Es wäre auch bedenklich, würde man die Kosten der auch atheistischen oder andersgläubigen Allgemeinheit, also dem allg. Steuerzahler, aufzwingen. Wenn der Staat etwas für die Kirche macht, dann muss die Kirche dafür bezahlen, nicht die Allgemeinheit.

Sie dient nach der gesetzgeberischen Intention erkennbar der Kostendeckung, jedoch keinen darüber hinausgehenden Zwecken wie etwa einer Verhaltenslenkung. Letzteres wäre mit Art. 4 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

Das Gericht verkennt mE aber, dass die wahre Intention des Gesetzgebers offensichtlich doch letzteres ist. Die Kirchenaustrittsgebühr dient nur dazu, Austrittswillige am Austritt zu hindern. Wenn der Gesetzgeber andere Intentionen hätte, würde er die Kosten der Kirche auferlegen.

Aber dagegen kontert das Gericht ja auch:

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Gesetz den Austrittswilligen und nicht die Kirche oder die sonstige Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft des öffentlichen Rechts mit der Gebühr belastet. Der Austrittswillige veranlasst das Verfahren und zieht überdies in der Regel aus seiner Sicht Nutzen daraus.

Der Austrittswillige zieht aus diesem besonderen Verfahren keinen Nutzen. Aus seiner Sicht würde ein Brief an die Kirche reichen, wenn er damit austreten könnte. Vielmehr zieht die Kirche durch die strengen Austrittsformalitäten den Nutzen. Hier wird für die Zwecke der Kirche, sei es auch nur, was mir, wie oben dargestellt, extrem zweifelhaft erscheint, die eindeutigkeit der Austrittserklärung, ein besonderes Verfahren vorgesehen. Also hat auch die Kirche für dieses besondere Verfahren zu bezahlen und nicht der, dem dieses besondere Verfahren aufgezwungen wird.

Dieser Beschluss zeugt leider davon, dass auch das BVerfG die Religionsfreiheit mehr in Richtung der großen Religionen als zu denjenigen, die sich gegen deren Sonderstellung wenden, auslegt. Es ist eine verkehrte Welt, wenn diejenigen, die nur unbegründete Behauptungen aufstellen, mehr Rechte zugesprechen bekommen, als denjenigen, die diese unbewiesenen Behauptungen zurückweisen. Und durch diesen Beschluss haben diejenigen mit den Behauptungen aufstellen wieder ein Sonderrecht bekommen: Es reicht ein formloser Akt, damit man an denen gebunden ist, die unbewiesene Behauptungen aufstellen, aber es braucht einen formgebundenen, kostenpflichtigen Akt, um als jemand anerkannt zu werden, der die unbewiesenen Behauptungen zurückweist, nur weil einmal ein Vertreter in dieser höchstpersönlichen Frage etwas anderes vorschireb.

Also sprach Maik

NACHTRAG:

Auf Grund des Beschlusses des BVerfG wurde nunmehr Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eingelegt.
Der Text der Beschwerde ist hier nachlesbar: http://ibka.org/node/758
Ich hoffe, dass der EGMR diese nur in Deutschland übliche Praxis, Bürger an der Ausübung ihrer negativen Religionsfreiheit zu hindern, endlich verwirft.

Hinterlasse einen Kommentar